Netzfund

100 Stunden Schlachthof,

100 Stunden "abfertigen",

100 Stunden grundlegendes Umdenken.

Seit ich Tiermedizin studiere, weiß ich, dass dieses Praktikum dazu gehört. Ich konnte mich früh genug mental darauf vorbereiten und auch Social Media hilft dabei - es sind keine schönen Bilder, mit denen man im Internet mehr oder weniger freiwillig konfrontiert wird, aber so wusste ich doch in etwa, was mich erwartet.

Ich habe mir bewusst einen kleineren Betrieb ausgesucht und trotzdem wurde ich mit Szenen konfrontiert, die mich - als sonst recht taffen Menschen - schockierten und nachhaltig prägen.

Vier Erlebnisse bleiben dabei ganz besonders in meinem Gedächnis:

Das erste Bild, das ich nie wieder vergesse, ist das einer Milchkuh. Sie steht eingepfercht in der Gasse zum Bolzenschuss. Ihr Blick ist leidend, ängstlich und flehend. Die Rinder vor ihr drängen zurück, ebenfalls getrieben von Angst, und pressen die magere Kuh gegen die Eisenstangen hinter ihr.

Eingequetscht und in Panik setzt sie Urin und extrem dünnflüssigen Kot ab.

Generell ist sie ein Bild des Elends: pralles Euter, aber sonst nichts außer Haut und Knochen.

Für sie war es vermutlich eine Erlösung.

Das zweite Bild ist das eines Ferkels, ca. 10 Wochen alt, sprich ein Spanferkel, das abends vor der Schlachtung angeliefert wurde.

In konventioneller Haltung herrscht im Schweinestall/ Flatdeck eine Temperatur von ca. 20 Grad. Als ich morgens um 6 Uhr auf dem Schlachthof ankam waren es -4 Grad. Das Ferkel lag schon die ganze Nacht dort draußen - ganz alleine auf dem Betonboden im Außenbereichs des Schlachthofs. Kein Stroh, keine Schweinekumpels zum Wärmen und mittlerweile zitternd im Delirium, war es kaum mehr ansprechbar.

Das dritte Bild ist das einer Kuh, die sich während des Transportes zum Schlachthof die Eutervene so stark verletzte, dass sie noch auf dem Hänger verblutete. Mit Hilfe eines Gabelstaplers wurde sie am Hinterlauf aus dem LKW gezogen und zur "unschädlichen Beseitigung" abtransportiert.

Das vierte und mit Abstand schockierenste Bild ergab sich bei der Zerlegung einer Milchkuh.

Auf dem Band, auf dem Innereien wie Mägen, Darm, Blase, Milz und Co entsorgt werden, lag mitten in Gedärmen ein Kalb. Die Kuh wurde tragend geschlachtet und befand sich am Ende des zweiten Trächtigkeitsdrittels. Das Kalb war fast fertig, in einigen Wochen bereit zu leben und ist stattdessen elendig während des Ausblutens des Muttertiers erstickt. Anschließend wurde das Kalb zusammen mit den Innereien entsorgt wie Müll.

Das Ganze passierte am selben Tag noch bei einer weiteren tragenden Milchkuh, dieses Mal im letzten Trächtigkeitsdrittel.

10% aller Milchkühe werden tragend geschlachtet, 90% davon befinden sich im vor-/letzten Trächtigkeitsdrittel.

(Quelle: dt. Tierschutzbund, Stand 2017)

Nicht selten wird behauptet, die Schlachthofmitarbeiter seien der Kern allen Übels.

Davon möchte ich mich ganz klar distanzieren!

Die Arbeiter dort sind keine schlechten Menschen, sicherlich emotional abgestumpft, aber vor allem sind sie Dienstleister und bedienen die Nachfrage.

Treibende Kraft dieses Systems ist der (nichts ahnende?) Verbraucher.

Ich möchte nicht den Schlachthof oder Landwirte an den Pranger stellen und auch nicht sagen, in welchem Betrieb ich war, denn darum geht es mir nicht, auch wenn hier sicher einiges schief gelaufen ist.

Es geht mir auch nicht darum, dass jeder vegetarisch oder vegan leben soll.

Aber jeder sollte wissen, welches System hinter einem Stück Fleisch oder Liter Milch aus konventioneller Haltung/Schlachtung steckt (Jagd und Hausschlachtung nehme ich hier raus).

Auch ich bin geprägt von meiner bisherigen Ernährung und Fleischverzehr und Milchkonsum haben einen großen kulturellen Stellenwert in unserer Gesellschaft, zudem ist die Lobby riesig und die Politik bisher nicht sehr ambitioniert etwas zu ändern.

Es geht mir darum zu informieren, meine Erlebnisse und Eindrücke zu teilen, zu sensibilisieren, vielleicht auch zu schockieren, aber da ist sie, wenn auch nicht mit euren eigenen Augen gesehen - die unbequeme grausame Wahrheit.

Tag für Tag, Tier für Tier.

Ich schreibe von MEINEN persönlichen Erfahrungen, mag sein, dass die Schlachtung in anderen Betrieben mit weniger Tierleid verbunden ist. Betonung liegt hier aber auf WENIGER Tierleid, dennoch ist es immer präsent. Wie sagte mir ein Schlachthofmitarbeiter: "Totstreicheln haben wir bisher noch nicht geschafft."

Dass all meine Eindrücke eine Ausnahme sein sollen, möchte und kann ich übrigens nicht glauben...!

Teilen ist erlaubt und erwünscht.

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